Es gibt diese Menschen, denen das Talent für Fremdsprachen sowieso schon in die Wiege gelegt wurde. Und andere, die irgendwo zwischen Oberstufe und Grundstudium die Motivation packt, die man für den freiwilligen Spanischkurs oder das Doch-noch-Latinum braucht. Ich gehöre zu keiner dieser Gruppen. Sieben Jahre Schulfranzösisch brachten mich ungefähr dazu, im Campingurlaub bei den Nachbarn "un, äh Moment, une baguette" zu bestellen. Und das als Saarländerin!
In meinem sechsjährigen Mainzer Studentenleben fühlte ich mich so wohl, dass mir die berüchtigte Auslandserfahrung, die im Lebenslauf junger Akademiker*innen eine Selbstverständlichkeit scheint, schlichtweg nicht in den Sinn kam. Wer braucht schon die Seine, wenn man den Rhein hat?
Mein viertes Mastersemester der Filmwissenschaft musste verstreichen, bis sich folgende Gedanken manifestierten: Ich will ins Ausland. Ich will eine Fremdsprache (wieder-)lernen. Ich will in eine Stadt für Kinoliebhabende.
Nachdem eine gescheiterte Stipendiumsbewerbung beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) um einen Platz in Montreal mich etwas desillusioniert zurückließ, schien Erasmus verlockend. Einfache Bewerbung, eingespieltes Verfahren, Uni-Partnerschaften meines Fachbereichs. Vereintes Europa, ich bin dabei! Dann eben ab nach Frankreich. Und ein ganzes Jahr Sorbonne Nouvelle, Paris, klingt schließlich gar nicht übel.
Ein Sprachkurs am Internationalen Studien- und Sprachenkolleg der Uni Mainz (ISSK) half mir immens dabei, einige ungeahnte Französischüberbleibsel aus den Tiefen meines Unterbewusstseins hervorzuholen.
Dass freundliche Erasmus-Koordinatorinnen in Paris meine ersten Mails ("Madame, je suis désolée, j’ai oublié…") entschlüsseln konnten, gab mir Antrieb. Selbst ein bezahlbares WG-Zimmer fand ich übers Internet, entgegen aller Warnungen.
Das Adieu von Neustadt, Medienhaus und Rhein kam also. Noch nie hatte ich überhaupt woanders studiert als in Mainz. Mein Bild von Paris basierte lose auf "Die fabelhafte Welt der Amélie", Nouvelle-Vague-Filmen sowie sporadischen Trips mit Eiffelturm-Gucken und Père-Lachaise-Besichtigung. Ich war neugierig, was hinter der Oberfläche steckt.
Mit ein bisschen Bammel und Sauerteig-Kulturen (Abschiedsgeschenk: -"Was vermissen Deutsche im Ausland am meisten?"-) im Gepäck stieg ich also in die Zuglinie Frankfurt Hbf – Paris-Est ein, in mein ungeahntes neues Leben als Großstadt-Neuling und Erasmus-Spätzünderin.
Vor meinem Willkommenstag an der Sorbonne Nouvelle hatte ich zwei Wochen eingeplant, um in aller Ruhe die Stadt zu erforschen und erste Bürokratiehürden in Angriff zu nehmen. Gut so, denn das spätsommerliche Paris plättete mich. Nicht nur mit seinem Lärm und Schmutz oder der vergeblichen Suche nach Metrostationen. Auch weil es scheinbar unendlich viel Schönes zu entdecken gibt – die Menschen, die den Spätsommer im prachtvollen Jardin du Luxembourg mit Schachspielen verbringen oder die abends gut gekleidet die Cafés füllen, die malerischen Fassaden, das verführerische und teure Essen und natürlich die Cinémas. Vielleicht entspricht das sogar erst mal diesem dünnen Bild, das man als Touristin in Paris hat. Aber mich erfüllten diese ersten Eindrücke mit Wärme - was vorher ein Filmbild war, wird hier wahrhaftig.
Bei meinen ersten Streifzügen durch die östlichen und südlichen Arrondissements kann ich mich schon etwas orientieren und bei kleinen Straßengesprächen – die erstaunlich oft stattfinden – mein mündliches Französisch erproben. Bereits ein unbewusst fragender Blick meinerseits provoziert stets ein freundliches -"Je peux vous aider? - Kann ich Ihnen helfen?" seitens der Pariser, die nur selten auf Englisch zurückgreifen, wenn sie merken, dass sie eine Ausländerin vor sich haben. Erwartungsgemäß ist auch der Nationalstolz der Franzosen sichtbar – Liberté, Égalité, Fraternité und Blau-Weiß-Rot begegne ich hier an jeder Ecke.
Die volle Französisch-Dosis erwartete mich schließlich an meinem ersten Uni-Tag. Ein Vorlesungssaal, gefühlt Hunderte Italiener, Deutsche, Skandinavier und Briten, die angestrengt dem Uni-Präsidenten und den Mitarbeiterinnen der Abteilung Internationales lauschten. Alle ungefähr gleich hilflos und kontakthungrig.
Während das Wort -"Sorbonne"- mitunter Bilder einer altehrwürdigen, renommierten, hübschen Universität hervorruft, befindet sich mein Fachbereich Cinéma et audiovisuel an der Neuen Sorbonne oder Paris 3, die rein ästhetisch eher enttäuschend ist und mir mit ihren engen Kurssälen ein wenig Gymnasiums-Gefühl wiedergibt. Ich lerne, dass die Sorbonne Nouvelle ein Kind der 68er-Studentenunruhen ist, die die Pariser Universität in dreizehn autonome Fachbereiche aufgliederten. Und dass damit zum ersten Mal in Frankreich das Studienfach Filmwissenschaft angeboten wurde. Ansonsten bin ich von Studierenden der Literatur, Sprachen, europäischen Studien, Theater, Schauspiel, Kultur- und Medienwissenschaften umgeben.
Es folgt: Warten vor Büros. Denn insbesondere für internationale Studierende spielt sich der komplette Einschreibungsprozess analog ab. Die Vorliebe der Franzosen für Comic Sans, auch bei semi-offiziellen Dokumenten, lässt zusätzlich eine seltsame Beziehung zur digitalen Welt vermuten. Da erwischt man sich fast sehnsüchtig bei dem Gedanken an Jogustine… Und wenn die einzige Zuständige für ein bestimmtes Formular gerade entgegen ihrer Öffnungszeiten nicht da ist, na ja, dann eben nächste Woche.
Die Studi-Gruppen, die sich um Events für Erasmus-Erstis kümmern, geben sich indes große Mühe, uns die schönen Seiten des Pariser Studentenlebens nahezubringen. Führungen durch Quartier Latin, Marais oder Montmartre, zahlreiche Partys und Kneipentouren werden organisiert.
Als junger Mensch, genauer als Unter-26-Jährige, genießt man in Paris zudem diverse Vorteile im kulturellen Angebot – der Eintritt in einigen Museen ist komplett frei, fürs Metrofahren und viele Galerien, Kinos oder Attraktionen gibt es Ermäßigungen.
Ablenkung vom Ernst des Lebens gibt es hier zuhauf. Und solange der Uni-Alltag noch nicht begonnen hat, bleibt Zeit, um zum Beispiel die letzten Sommertage im großen Park Buttes Chaumont zu genießen. Oder zum Weintrinken. Oder dafür, sich auf dem Markt beim Obst- und Käsekauf beraten zu lassen. Und wieder werden die schönsten Klischees für mich wahr!
Nach meinen ersten drei Wochen muss ich gestehen: Ich habe mich unerwartet heftig in Paris verliebt.
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