#Ausland | Kultur studieren in Portugal - Teil 2

09.02.2019
Lukas

Achtung! Obligatorische Erasmus-Phrase incoming: Die Zeit vergeht rasend schnell und so habe ich schon über die Hälfte meiner Zeit in Lissabon hinter mich gebracht. Gefühlt bin ich doch erst gestern angekommen.

Das Angebot der Zentralmensa in Mainz ist im Vergleich zu dem Angebot hier ein Sternemenü für die Queen höchstpersönlich. Bisher konnte ich fast immer behaupten, Essen macht glücklich, aber hier macht es mich einfach nur betroffen. Deswegen bin ich sehr froh, dass es im Innenhof der Fakultät noch eine Alternative à la Qkaff gibt. Die Speisen sind teurer, aber dafür auch deutlich schmackhafter. 

Hier habe ich auch von Anfang an die portugiesische Lebensart kennengelernt: Schlange stehen. Geduld ist eine Zierde. Besser spät als nie. Das gilt für Sprechstunden bei Dozenten, an der Kasse im Supermarkt oder bei Auskünften in Ämtern. Oft tut es mir ganz gut, den Fuß vom Gas herunterzunehmen und die deutsche Verbissenheit zumindest für einen Moment abzulegen, doch manchmal wird mein Geduldsfaden wirklich schwer strapaziert.

Die kleinen Unterschiede

Inzwischen sind mir auch einige Unterschiede zum Uni-Alltag in Deutschland aufgefallen: Die portugiesischen Dozenten waren zunächst überrascht, dass überhaupt Erasmus-Studis in ihren Kursen sitzen. Das hat mich ganz schön verwundert: Hat die Lehrenden niemand informiert, dass die Fakultät Erasmus-Partner ist und somit ausländische Studierende in ihren Kursen landen können? Trotzdem waren meine Dozentinnen sehr hilfsbereit. An den Stellen, an denen mein Portugiesisch zu schlecht war, haben sie mir immer auf Englisch weitergeholfen und ansonsten ist einfach etwas mehr Selbstständigkeit gefragt als in Deutschland.

Das war anfangs eine kleine Herausforderung, aber inzwischen habe ich die ersten Zwischenprüfungen erfolgreich hinter mich gebracht. Wo ich in Deutschland in den Seminaren Referate vorbereiten oder Essays schreiben muss, hatte ich in Portugal Mini-Klausuren. Das waren schriftliche Abfragen über die Diskussionen aus den vorangegangenen Stunden, die mich mehr an die Schulzeit erinnert haben, als an mein Studium an der JGU.

Generell wirkten die Kurse anfangs etwas verschult: Es gab viel Frontalunterricht ohne Austausch, aber inzwischen hat sich das Ganze etwas aufgelockert. Hin und wieder organisieren die Dozenten zum Beispiel externe Vortragende, die über ihre ethnologische Forschung oder Projekte berichten. Außerdem wird die Literatur für die Kurse leider nicht wie in Deutschland einheitlich auf dem Reader zur Verfügung gestellt, sondern auf unterschiedlichen Blogs und Internetseiten. 

Die kleinen "Zauberschüler", die ich schon im letzten Blogeintrag erwähnt habe, sieht man inzwischen nicht mehr so häufig. Die Erstis sind jetzt wahrscheinlich auch langsam im Uni-Alltag angekommen. Tatsächlich sind die Studis hier etwas jünger als in Deutschland. Einige beginnen schon mit 19 Jahren das dritte Studienjahr. In dem Alter haben viele Deutsche gerade mal ihr Abi in der Tasche. Gap Years scheinen also in Portugal (noch) kein Trend zu sein.

Einsame Drahtesel

Ein weiterer Unterscheid, der mir im Vergleich zu Deutschland aufgefallen ist, ist, dass hier kaum jemand mit dem Fahrrad zur Uni kommt. Wo man in Mainz manchmal gar keinen Abstellplatz findet, weil so viele Studis zur Uni geradelt kommen, nutzen hier fast alle Bus oder Bahn. Im Innenhof der Fakultät sehe ich hin und wieder einen einsamen Drahtesel neben den paar Fahrradständern stehen. Angesichts von steilen Straßen und wenigen Fahrradwegen in der Stadt ist das eigentlich wenig überraschend. Trotzdem scheinen auch hier Mieträder, wie die von der MVGmeinRad in Mainz, immer mehr an Beliebtheit zu gewinnen.

Kurz bevor ich hier im September angekommen bin, scheint außerdem eine amerikanische Firma kleine E-Scooter, also solche Tretroller mit Elektromotor, in der Stadt verteilt zu haben. Die kommen vor allem bei jungen Leuten gut an und verändern gerade das Straßenbild in Lissabon. Nächstes Jahr sollen die Elektro-Tretroller aller Voraussicht nach auch in Deutschland zugelassen werden. Dann rollen vielleicht auch einige Studis damit über den JGU Campus.

Bib & Burger

An der Fakultät gibt es anscheinend nur eine einzige Bibliothek. Die kann zwar mit einer Klimaanlage protzen, aber platzt dafür aus allen Nähten. Gerade um die Mittagszeit, wenn die meisten Studis eine Pause zwischen zwei Seminaren haben oder nach der Uni einfach noch ein bisschen produktiv sein wollen, muss man häufig länger einen Platz suchen. GFG lässt grüßen. 

Deshalb habe ich mich als gewohnheitsmäßiger Bib-Gänger irgendwann nach Alternativen umgesehen und davon gibt es zahlreiche: Die Biblioteca Nacional de Portugal sieht von außen mehr als unscheinbar aus. Woche für Woche bin ich an diesem farblosen Bauklotz vorbeigelaufen, ohne dass er mir aufgefallen wäre. Als ich dann zum ersten Mal einen Fuß auf die Schwelle setzte, wurde ich direkt in die 70er gebeamt. Beige Ledercouches, türkisfarbener Boden, wackelige Schreibtischstühle. Zwar habe ich nie eins der hunderttausend Medien gebraucht, die in dem Gebäude archiviert sind, aber im Gegensatz zur Uni-Bib hatte ich hier nie Platzangst.

Ganz in der Nähe, im Jardim do Campo Grande, gibt es außerdem das Centro Académico do Caleidoscópio. Bücher findet man hier zwar keine, dafür hat man aber 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr Zugang zu den Arbeitsplätzen. Passionierten Prokrastinateuren in der Prüfungsphase kommen hier nicht nur die unbegrenzten Öffnungszeiten entgegen, sondern wahrscheinlich auch die McDonalds-Filiale im Erdgeschoss. Falls einen der Hunger nach draußen treibt, muss man so nicht weit laufen und kann sich danach noch auf einer Parkbank an einem kleinen See entspannen. 

Vielleicht sollten die Architekten der neuen Zentralbibliothek an der JGU für etwas Inspiration nach Lissabon kommen…muss ja keine Fast-Food-Kette sein!

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