Ende September hieß es für mich "Koffer packen!", denn es ging endlich auf nach Prag. In den Wochen davor hatte ich aufgrund verschiedener Abgabefristen und wegen des Umzugs aus meiner Mainzer Wohnung kaum Gelegenheit, Aufregung vor diesem großen Schritt zu empfinden. Erst beim Kofferpacken wurde mir klar, dass ich übermorgen ganz woanders sein würde - an einem Ort, an dem ich niemanden kenne, wo die Menschen eine fremde Sprache sprechen und wo ich schlussendlich noch einmal von vorne anfangen muss. Die Nervosität begann einzusickern und ich stellte in Frage, ob das alles wirklich eine so gute Idee war. In Mainz zu bleiben, mein fünftes Semester in vertrauter Umgebung zu verbringen und so weiterhin die Cafés meines Vertrauens in unmittelbarer Nähe zu wissen, wäre schließlich so viel einfacher gewesen.
Aber genau das zählt zu den Gründen, weshalb ich mich für ein Auslandssemester entschieden habe. Denn ich wollte raus aus diesem Alltagstrott und etwas von der Welt sehen. Ich wollte in einer fremden Stadt in einem fremden Land leben und eine neue Kultur kennenlernen. Als ich mich darauf zurück besann, machte meine Nervosität wieder dieser Neugier Platz. Zwar war ich natürlich immer noch aufgeregt wegen der kommenden Erlebnisse, aber die Vorfreude überwiegte wieder.
Die Planung meines Erasmus-Semesters begann bereits ein Jahr zuvor. Neben ein paar Missverständnissen und Unklarheiten darüber, in wessen Zuständigkeitsbereich einige meiner Anliegen fielen, hat mit der Anmeldung alles einwandfrei funktioniert. Learning Agreement: Check! Anmeldung an der Gastuni: Check! Unterkunft? Naja, das war etwas aufwändiger. Bei der Suche nach einer Bleibe ist es definitiv ratsam, so früh wie möglich zu beginnen. Denn die Konkurrenz ist groß. Aufgrund der fürs Reisen sehr geeigneten zentraleuropäischen Lage Prags ist die Stadt gerade für internationale Studierende besonders interessant. Und im Kampf um die knappen Unterkünfte spielen die einheimischen Studierenden natürlich ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle.
Als Erasmus-Studi hat man jedoch die Möglichkeit, sich bei der Anmeldung an der Universität gleichzeitig auch für ein Zimmer in einem der Studierendenwohnheime zu bewerben. Der Preis liegt zwar deutlich unter dem privater WG-Zimmer, persönlich habe ich mich jedoch dagegen entschieden. Denn bei den Zimmern handelt es sich zum Teil um Doppelzimmer und da ich zum einen meinen seltsamen Schlafrhythmus niemandem zumuten wollte und zum anderen meine Privatsphäre schätze, habe ich mich auf eine universitätsunabhängige Wohnungssuche begeben. Dabei habe ich mich hauptsächlich auf Stellenanzeigen in Prag-spezifischen Facebookgruppen konzentriert. Dies verlief überraschend einfach: Gleich bei einer der ersten Personen, die ich angeschrieben habe, hat alles gepasst und schnell war der Vertrag aufgesetzt.
War ich misstrauisch wegen dieser äußerst verdächtigen Fügung? Ein wenig, aber einmal muss man schließlich auch Glück haben. Zwar war mein Vertrauen in meinen freundlichen Vermieter, wie sich herausstellte, gerechtfertigt, jedoch gibt es auch ganz andere Fälle. Also Vorsicht bei der Wohnungssuche und fangt so früh wie möglich damit an. Der Vertrag für mein WG-Zimmer war also unterschieben, meine Hinreise organisierte ich ebenfalls problemlos und so konnte mein Auslandssemester schon bald beginnen.
Vor ein paar Wochen ging es dann endlich los. Mit einer Gefühlsmischung aus Zweifeln, Vorfreude, Unsicherheit und Neugier traf ich in Prag ein. Die Stadt ist mit einem außerordentlich guten Verkehrsnetz ausgestattet und so war es einfach und günstig, vom Flughafen per Bus zu meiner neuen Bleibe zu gelangen. Mein erster Eindruck der Stadt: Etwas anders als ich im Vorhinein erwartet hatte. Denn jeder hatte mir gesagt, wie wunderschön und beeindruckend die Stadt und deren Architektur sei. Die äußeren Stadtteile Prags, durch die ich fuhr, unterschieden sich jedoch nicht besonders von deutschen Vorstädten und waren nicht besonders imposant.
Je näher ich aber ans Zentrum der Stadt gelangte, desto atemberaubender wurde die Umgebung. Gefühlt ist jedes zweite Gebäude eine architektonische Meisterleistung und kurz gesagt wunderschön. Zumindest aus meiner "Expertensicht". Da ich ein paar Tage vor der Einführungswoche ankam, bot sich die Gelegenheit die Stadt ein wenig zu erkunden. Zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten zählen mitunter die Karlsbrücke, eine der ältesten Steinbrücken Europas, oder die Prager Burg, die die Stadt noch märchenhafter wirken lässt. Was mir jedoch bisher am besten gefallen hat, war die Sicht vom Aussichtsturm Petřín, von dem aus ich die ganze Stadt mit ihren goldbrauen Dächern betrachten konnte.
Einzige Dämpfer ergeben sich in Prag aus den Massen von Menschen, die versuchen sich durch die Innenstadt zu manövrieren – da kann es schnell sehr eng werden. Denn Prag ist ein sehr beliebtes Touristenziel und auch im Winter nimmt dies nur bedingt ab. Nicht so cool ist außerdem, dass sich in Prag viele Betrüger rumtreiben. Da die Währung des Landes die Tschechische Krone und nicht der Euro ist, versuchen viele Betrüger, Touristen reinzulegen und deren Geld deutlich unter dem eigentlichen Wert umzutauschen. Persönlich versuche ich dies zu vermeiden, indem ich nicht in die Geldwechselgeschäfte gehe, sondern entweder sofort mit Karte zahle oder in einer Bank Geld abhebe. An dieser Stelle kann ich außerdem den YouTube-Kanal "Honest Guide" weiterempfehlen, auf dem Touristen Tipps gegeben und Betrugsmöglichkeiten aufgedeckt werden.
Neben diesen Makeln, die es jedoch sicherlich in vielen Städten gibt, handelt es sich bei Prag aus meiner Sicht wirklich um eine Traumstadt. Denn zum einen ist sie wirklich wunderschön und zum anderen sind die einheimischen Bewohner ausgesprochen freundlich. Obwohl meine Sprachkenntnisse bisher nicht über "Hallo" und "Tschüss" (ja, beides kann mit ahoj geregelt werden) hinaus gehen, spricht die Mehrheit der Einwohner auch Englisch und steht einem stets hilfsbereit mit Rat und Tat zur Seite. Tiefgehende Tschechisch-Kenntnisse sind also keinesfalls nötig, um sich in Prag zurechtzufinden.
Auch alles Organisatorische findet in der Karls-Uni für internationale Studierende in englischer Sprache statt. Die Einführungswoche begann mit einer Präsentation über die Basics. Organisatorisch ist die Uni wirklich gut aufgestellt. Alle möglichen Fragen wurden gleich bei diesem ersten Begrüßungstreffen geklärt und die Anmeldung zu den Kursen wurde detailreich dargelegt. Diese unterscheidet sich glücklicherweise nicht besonders vom Anmeldeprozess an der JGU und findet demnach ebenfalls digital statt. Gibt es doch mal Probleme, antworten die internationalen Koordinatoren wirklich schnell, verständnisvoll und hilfsbereit. Neben diesem Orga-Kram bot sich bei diesem Treffen zudem die erste Gelegenheit, einige meiner Mitstudierenden kennenzulernen.
Es fühlte sich wieder an, wie in der Ersti-Woche, wenn jeder zwar etwas aufgeregt, aber gleichzeitig auch offen dafür ist, neue Kontakte zu knüpfen und Freundschaften zu schließen. Diese Atmosphäre der Offenheit und der Kontaktfreudigkeit gefällt mir immer sehr gut. Denn jedem fällt es in so einer Situation leichter die Person, die neben einem sitzt, einfach anzusprechen und kennenzulernen. Unterstützt wurde dieser ganze Kennenlern-Prozess zusätzlich durch das Erasmus Student Network (ESN), das es in nahezu allen europäischen Ländern gibt und das internationalen Studierenden übers ganze Semester hinweg viele Freizeitangebote liefert. Egal ob Trips quer durch Europa, das regelmäßige Pub-Quiz oder verschiedene Partys – all diese Optionen werden explizit für Erasmus-Studierende angeboten. Das hat es mir sehr erleichtert Freundschaften mit Menschen aus den verschiedensten kulturellen Hintergründen zu schließen. Vertreten sind dabei v.a. die Nationalitäten der Nachbarländer der Tschechischen Republik, also Studis aus Deutschland oder Polen. Aber auch viele nicht-europäische Studierende haben ihren Weg nach Prag gefunden.
Was durch diesen Fokus auf ausländische Studierende etwas auf der Strecke bleibt, ist die Möglichkeit einheimische Studis kennenzulernen. Denn eins meiner Ziele ist es, auch mit tschechische Studierenden ins Gespräch zu kommen und sie kennenzulernen. Besonders durch diese Begegnungen ist es meiner Meinung nach möglich, einiges über die Kultur des Landes und dessen Besonderheiten sowie Eigenarten zu lernen. An vielen Seminaren nehmen aber sowohl tschechische als auch internationale Studierende teil, wodurch ein Zusammentreffen mit einheimischen Studierenden glücklicherweise erleichtert wird.
Einen Fun Fact, den ich durch ein Gespräch mit einer Tschechin erfahren habe: Die tschechische Sprache ist teilweise so kompliziert, dass selbst die Tschechen häufig grammatikalische Fehler begehen und so selbst in der Uni noch Sprachkurse zu ihrer eigenen Sprache belegen müssen, um diese meistern zu können. Dieser Fakt kann vielleicht demotivierend wirken, das Lernen von Tschechisch überhaupt in Angriff zu nehmen. Andererseits sollen die Basics wohl gar nicht so schwer zu erlernen sein und ich hoffe, dass ich innerhalb der nächsten Wochen mehr Vokabular als zum jetzigen Zeitpunkt vorzuweisen habe.
Bis dahin (und bis ich ein neues Wort dafür gelernt habe): Ahoj!
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