#Ausland | Acht Dinge, die man mir vorher hätte sagen können

24.11.2015
Studium, Internationales
Sarah

England ist Europa - dürfte ja nicht so viel anders sein als Deutschland, oder? Unsere Auslandsbloggerin Sarah erlebte trotzdem einige Kulturschocks in den ersten Wochen auf der Insel. An einige hat sie sich mittlerweile gewöhnt, über andere wird sie wohl nie hinwegkommen.

1. Linksverkehr 

Es gibt einen Unterschied zwischen wissen und denken. Ich weiß, dass die Autos von links kommen. Ich denke nur nie daran, wenn ich die Straße überquere. Der beste Überlebenstipp kam von meiner Schwester: "Wenn du dir ganz sicher bist in die richtige Richtung zu gucken, guck‘ lieber nochmal in die andere." Funktioniert ziemlich gut. Außerdem habe ich mir ein bisschen Zivilgehorsam antrainiert und aufgehört bei Rot über die Straße zu rennen. Safety first.

2. Trinkmanieren

2012 haben Psychologen in Braunschweig herausgefunden, dass jeder fünfte Studierende in Deutschland zu viel Alkohol trinkt. In England gilt das für jeden Studierenden. Soweit jedenfalls mein erster und zweiter Eindruck. EngländerInnen trinken am liebsten Wodka mit Fruchtsirup. Auch sehr beliebt: Jagerbomb. Ein Getränk bestehend aus einem Schnapsglas Jägermeister in einem Glas voll Bier oder Energydrink. Beides ungenießbar für meinen verwöhnten Mainzer Gaumen - und für meinen Geldbeutel.

Alkohol ist extrem teuer in Großbritannien. Die günstigste Flasche Wein: Fünf Pfund (etwa 7,50 Euro) und eine Dose Bier: 1,50 Pfund (etwa 2,25 Euro). Allerdings gibt es sehr viele "buy 2, get 1 free"-Angebote. Kein Wunder also, dass alle so viel trinken.

Glücklicherweise sind die Briten aber ein sehr gastfreundliches Volk. Will sagen: Egal wie schmal der Geldbeutel ist, nüchtern bleibt keiner.

3. Tee vs. Kaffee

Dass Engländer gerne und viel Tee trinken, ist kein Geheimnis. Dass es aber richtig schwierig ist einen frisch gebrühten, stinknormalen Kaffee zu bekommen, hätte man mir sagen können. In der Uni gibt es drei kleine Cafés: zwei gehören der Coffeeshop-Kette Costas und das andere ist ein Starbucks. Hallo Pumpkin Spicey Soy Latte für vier Pfund (ca. sechs Euro). Denn man denke bitte nicht, die beiden Kaffeeriesen würden ihr Preisniveau dem Uni-Standort anpassen.

Also was tun wenn der schwarze Tee in der 16-Uhr Vorlesung nicht mehr zum gewünschten Ergebnis führt? Die Alternative, die einem starken Filterkaffee am nächsten kommt, heißt Americano. Der Americano schmeckt wie ein halber Liter heißes Wasser mit einem Schluck Espresso drin und kostet in der Unizwei Pfund (ca. drei Euro). Hoch leben die guten, alten Kaffeeautomaten in Mainz.

4. Englische Küche

Meine Mitbewohner in Mainz nennen mich liebevoll "Ökoterroristin". Ich liebe dunkles Vollkornbrot, vegetarische Aufstriche und Dinkelnudeln. Deren Abwesenheit hat mich die ersten Wochen hier auf eine harte Probe gestellt. Das dunkelste Brot besteht aus gefärbtem Weizen.

Britische Supermärkte halten von Vegetariern genauso viel wie Pegida von Ausländern. Den Tag, an dem mich mein Weg zufällig vor die Türen eines Bioladens geführt hat, werde ich deshalb niemals vergessen. Ausgerüstet mit Räuchertofu, vegetarischer Bolognese, Vollkornspagetthi, Brotbackmischungen und einer Kundenkarte, verließ ich glücklich den Laden. 

Aber Ernährungsspießertum beiseite: so schlecht wie ihr Ruf ist die englische Küche nicht. Richtig lecker sind die Pommes – dick und fettig sind sie der perfekte Abschluss einer alkoholintensiven Nacht. Am Morgen danach ist ein englisches full breakfast das beste Mittel gegen den Kater. Baked Beans, Hash Browns (vergleichbar mit Kartoffelrösti), Black Pudding (Blutwurst), Würstchen, gegrilltes Gemüse, Toast und Bacon wecken in mir ernste flexitarische Gelüste. 

5. Das Kleingeld-Paradoxon

Es hat mindestens einen Monat gedauert, bis ich die Logik des britischen Kleingeldes verinnerlicht habe. Euromünzen haben ihrem Wert entsprechende Größen. Zwei-Euro-Stücke sind am größten und der Cent am kleinsten. Zwei-Pence-Stücke sind dagegen genauso groß wie Zwei-Euro-Stücke, sind aber kupfern und daher in der Farbpalette ganz unten angesiedelt. Fünf-Pence-Stücke sind wiederum silbern, aber kleiner als ein Ein-Cent-Stück. Verwirrend, oder?

Um die Geduld meiner Mitmenschen nicht auf die Probe zu stellen, bezahlte ich also konsequent mit Scheinen. Das Kleingeld stopfte ich irgendwie in mein Portemonnaie. Bis das Kleingeldfach eines Tages an der Supermarktkasse platzte. Der Herr, der mir beim Aufsammeln half, wies mich freundlich darauf hin, dass ich in England auch mit Münzen bezahlen kann. 

Mittlerweise kann ich nicht mehr nachvollziehen, warum ich es so kompliziert fand, mir den Wert der Münzen zu merken. Wahrscheinlich fand ich es heimlich doch irgendwie cool immer nur großkotzig mit Scheinen zu bezahlen.

6. Please queue!

8:15 Uhr, Bushaltestelle. 50 Menschen stehen brav in einer Schlange, die sich bereits um die Ecke der Straße schlängelt. Die restlichen 15 stehen geknäult in kleinen Grüppchen kreuz und quer dazwischen. Jeder weiß: das müssen internationale Studierende sein. Ich weiß, dass über die Hälfte davon aus Deutschland kommt.

Jeden Morgen tobt derselbe Kampf in meinem Gehirn. "Es ist falsch, sich vorzudrängeln", sagt die Moral. "Wer zuletzt kommt, muss stehen.", sagt die Erfahrung. Es gibt zwei Möglichkeiten. Erste Möglichkeit: Ein bekanntes Gesicht im vorderen Teil der Schlange entdecken und Augenkontakt aufnehmen. Im Optimalfall sieht dich die Zielperson auch und ruft sogar deinen Namen. Jackpot! Zweite Möglichkeit: Einfach früher zum Bus gehen.

7. Der eisige Norden

Briten sind wie Pinguine: sie überleben ungeschützt in eisigsten Temperaturen. In freier Wildbahn kann man ihr Verhalten am besten in der Schlange vor der Disko beobachten: dicht aneinander gedrängt ignorieren sie im Minikleid hartnäckig die Temperaturanzeige auf ihren Smartphones. Klar, auch in Mainz gibt es immer ein, zwei Kandidaten, die auch im Januar mit 3/4-Hosen und Metallica-T-Shirt rumrennen. Aber Frauen in Hotpants und bauchfreien Tops bei Schneeregen? Eher selten. 

So absurd es mir vorkommen mag, die Freizügigkeit hat ihren Grund. Im Norden Englands gibt es keine Garderobe im Club. Die Frage danach stößt auf dasselbe Unverständnis wie die nach Vollkornbrot.

Bei drei Grad Außentemperatur helfen also nur sehr warme Gedanken. Wer möchte schon mit Jacke und Schal in der Hand tanzen?

8. Freundlichkeit

Verallgemeinerungen sind zu vermeiden. Aber diese eine ist gerechtfertigt: Engländer sind immer freundlich! Es stimmt einfach. Selbst nach über zwei Monaten war noch niemand unhöflich zu mir. Wird man im Shoppingcenter angerempelt, ist der Schock über die lautstarke Entschuldigung eigentlich viel größer als über den Stoß in die Magengrube.

Ob Kassier, Taxifahrer oder Professoren (!!), fast jeder Satz endet auf "love", "flower" oder "sweetheart". 

Fragt man nach dem Weg und der Gefragte hat keinen Schimmer, kann man sicher sein, dass der Suchtrupp ab diesem Moment um eine Person gewachsen ist. Und er wächst so lange weiter, bis jemand die richtige Antwort kennt.

Die folgenden Zeilen sind komplett ironiefrei zu verstehen - ernsthaft! "Du kommst mit deinem Essay nicht weiter? Ich arbeite zwar gerade an meinem Vortrag für eine Fachtagung, aber natürlich habe ich zwei Stunden Zeit um mit dir bei der Suche nach Literatur zu helfen!" 

Und selbst um 17 Uhr ist die Empfangsdame im Studierendencenter noch freundlich. Ist das zu fassen? (Weitere Unglaublichkeiten meines Alltags an einer englischen Uni folgen in Kürze.)

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