Von der Uni ins Europaparlament?

21.04.2014 Campus News, Arbeit ml

Ob ihre Katze weiterhin hinter der Kandidatur von Julia Reda als Spitzenkandidatin der Piratenpartei zur Wahl des Europäischen Parlaments steht, ist fraglich. Die 27jährige gebürtige Bonnerin wurde Anfang des Jahres auf dem Bundesparteitag der Piraten auf Platz 1 der Europaliste gewählt und ist seitdem noch mehr auf Achse als vorher.

Als Tochter von Übersetzern, eines Italieners und einer Deutschen, zog sie mit ihrer Familie der Politik hinterher. Von der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn ging es für die Übersetzerfamilie nach Berlin. Im Jahr 2005 wechselte Reda dann wieder von der Spree an den Rhein und nahm ein Magisterstudium der Politikwissenschaft und Publizistik in Mainz auf. Sie bedankt sich noch heute bei einer Freundin für ihre Überredungskünste, so dass sie nicht doch Jura studierte.

Enttäuschung über die SPD

In Rheinland-Pfalz angekommen engagierte sich das damalige Mitglied der SPD basisdemokratisch in der Wohnheimvertretung des Inter 1. Ihr besonderes Interesse für Netzpolitik führte sie auch zum Chaos Computer Club Mainz/Wiesbaden. Die Netzsperrendebatte im Jahr 2009 führte zu ihrem Austritt aus der SPD. Das Parteibuch gab sie ab, weil die SPD in der Großen Koalition das "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" mitgetragen hatte. Ihr Austrittsschreiben nach siebenjähriger Mitgliedschaft kursierte wochenlang im Internet. Es zeigte beispielhaft die Enttäuschung vieler netzaffiner Aktivistinnen und Aktivisten über das vermeintlich fehlende Verständnis für „Neuland“, das als Begriff eigentlich noch nicht einmal existierte.

Zu den Piraten in Hessen

Noch im gleichen Jahr trat Julia Reda der Piratenpartei bei. Nicht bei den Mainzer, sondern den Frankfurter Piraten fand sie ihre politische Heimat: "Da ich in Kastel wohne, gehöre ich zum Landesverband Hessen, und in Frankfurt ist halt am meisten los."

Nachdem sie als Vorsitzende des Jugendverbandes der Piratenpartei sich besonders um die Themen Bildung, Medien und Jugendschutz gekümmert hatte, kam Anfang 2012 ein weiteres Thema auf ihre Agenda: Europa. Während eines dreimonatigen Praktikums bei der Piratenabgeordneten Amelia Andersdotter im Europaparlament lernte sie die politische Arbeit auf europäischer Ebene kennen. Die Idee der Schwedin war es, dass sich Reda nach ihrem Studium in Europa für die Ziele der Piraten einsetzen sollte. Für die junge Politikerin war dies der Leitfaden bis Anfang 2014.

Magisterarbeit zu Netzpolitik

"Man glaubt gar nicht, welche Motivation man aus solchen Zielen schöpfen kann", sagt Julia Reda auch über die inhaltliche Verknüpfung ihrer politischen und akademischen Arbeit der vergangenen Jahre. Für ihre Magisterarbeit hat sie über die Aufnahme netzpolitischer Themen in die Programme der großen deutschen Parteien geforscht. Ihre Arbeit hat sie bei Prof. Kai Arzheimer am Politikwissenschaftlichen Institut der JGU geschrieben und auch der mittlerweile emeritierte Prof. Jürgen W. Falter war ihr Mentor.

Bei der Reise durch die Wahlprogramme fand sie die eine oder andere Stilblüte, die per Twitter über den hashtag #wahlprogrammefromhell ihren Weg ins Internet fand:

Netzpolitik in Wahlarena angekommen

Zu den Ergebnissen ihrer Arbeit sagt sie, dass die netzpolitischen Themen zwar in der Wahlarena angekommen seien, es sich aber noch zeigen müsse, ob das auch für die parlamentarische Arbeit gelte. Für ihre mündlichen Abschlussprüfungen war das Thema "Europa" fester Bestandteil. Denn neben der Netzpolitik, insbesondere in Hinsicht auf Urheberrecht, Netzneutralität und den freien Austausch von Wissen und Kultur, setzt sie sich für mehr Jugendbeteiligung und Stärkung der Europäischen Demokratie ein. Dafür sei das Verständnis über Struktur und Geschichte der Materie natürlich eine Voraussetzung.

Keine Revolution für Europa

Realistisch sieht sie jedoch das fehlende Verständnis und Wissen der Menschen über die Politik in der EU. Auf der Aufstellungsversammlung im Januar warb sie, wenn auch ohne Erfolg, für ein kurzes und einfaches Wahlprogramm und sprach offen über die Chancen der Piraten, das europäische System vollends zu revolutionieren:

Let's face it: Die deutsche Piratenpartei wird nicht mehr als fünf Menschen ins EU-Parlament schicken. Ehrlich, das reicht nicht für die Revolution. Niemand außer uns Fachidioten versteht, was "Monopolrechte an Immaterialgüterrechten im digitalen Zeitalter" sind.

 

Einen Teil zur Veränderung der Europäischen Union und zum Verständnis der Bürgerinnen und Bürger möchte sie dennoch beitragen. Nach dem Abschluss des Studiums ist sie derzeit Vollzeit-Wahlkämpferin. Als sie im Prüfungsamt der Universität ihr Magisterzeugnis abholte, wünschte die Sachbearbeiterin viel Erfolg beim Bewerbungen schreiben.

Bewerbungen schreiben? Ja, derzeit schreibt die junge Politikerin sehr viele Bewerbungen um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Ob ihre Katze sie zu Hause danach wieder öfter zu Gesicht bekommt oder ein Teilumzug nach Brüssel und Straßburg ansteht, entscheidet sich am Wahltag, dem 25. Mai 2014. Die Chancen dazu sind nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass Ende Februar die 3 %-Hürde zur Europawahl gekippt hat, stark gestiegen.

(ml)

Was steckt hinter den Plakaten?

Wir haben uns mit Julia Reda am Rheinstrand in Kastel getroffen um mit ihr über die Inhalte, die hinter den Plakaten stecken, zu sprechen:

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